Ehrenamtliches Engagement braucht Strukturen – das gilt in den alten Ländern genauso wie in den neuen. Der Unterschied ist, dass im Osten Haltepunkte für Ehrenamtliche auch 30 Jahre nach der Einheit noch deutlich dünner vorhanden sind. Darunter darf man nicht nur öffentliche Strukturen verstehen, im Sinne von Vereinen, Organisationen oder Ehrenamtsagenturen, sondern auch die Unterstützung durch Unternehmen, Stiftungen und größere Spenden. Beides ist in Ostdeutschland heute weniger entwickelt.
Vereine, vor allem aber Gruppen/Initiativen müssen besonders im kleinräumigen Siedlungsbereich strukturell gestützt werden. Sinkende und alternde Bevölkerung heißt auch, dass die Strukturen des Ehrenamtes ausdünnen. Hier müssen über die Hilfe regionaler Unternehmen hinaus durch die öffentliche Hand Haltepunkte („Strukturen“) geschaffen werden, an die sich Vereine und Gruppen anlehnen können. Neben Beratung geht es dabei um politische Lobby für ihre Anliegen als bürgernaher Gestalter der Lebensqualität im ländlichen Raum.
Für Engagement und Ehrenamt wurde gerade eine Bundesstiftung gegründet, die sich besonders um strukturschwache ländliche Regionen kümmern soll. Dabei soll es um die Verbesserung „ehrenamtlicher Strukturen“ gehen. Es ist zu wünschen, dass der Fokus über die Stärkung digitaler Strukturen hinausgeht. Das Projekt zeigt, dass Vereine und Initiativen zwar auch auf das Internet und die Digitalisierung setzen, aber zur Abdeckung der Fläche auch auf Beratungsstellen für ehrenamtliches Engagement.
Der Bund wird in seinen Aktivitäten für das Ehrenamt in der ländlichen Fläche im Moment noch eher wenig wahrgenommen. Er könnte seine Präsenz gerade in Thüringen als einem der ländlichsten Bundesländer mehr beweisen, indem er über seine Stiftung den Ausbau regionaler Strukturen unterstützt. Die TES hat hierfür auf Landesebene vorgearbeitet. Mit ihren Ehrenamtsbeauftragten in den Landkreisen und kreisfreien Städten und ihren Freiwilligenagenturen hat sie bereits Andockstellen geschaffen, um Strukturen aufzubauen.
Die Andockstellen stoßen mit den jetzigen Mitteln an ihre Grenzen, wenn sie versuchen, in die Fläche auszustrahlen. Das betrifft das zu geringe Volumen ebenso wie die projekthafte Unstetigkeit. Sollen aber Strukturen geschaffen werden, kommt es auf allen Ebenen auf die Nachhaltigkeit an. Freiwilligenagenturen sollten sich mit jenen Strukturen vernetzen, die bereits vorhanden sind, insbesondere mit denen, die von unten nach oben aufwachsen. Als Zwischenglieder zu den Vereinen und Initiativen würden sie die Flächendeckung ausbauen.
Ziel wäre die Idee einer Struktur, also der Verstetigung, zu verwirklichen und die Prekarität der Projekthaftigkeit („Projektitis“) nachhaltig zu verringern. Denn diese ist ein Hauptpunkt der Kritik, der sich durch alle Ebenen zieht und von Aktiven und Experten schon lange und durchweg kritisiert wird. Hier fallen Arbeitsaufwände an, die in keinem Verhältnis zum Nutzen mehr stehen und die Zeit der Ehrenamtlichen und zugleich ihrer Förderer von wichtigen Aktivitäten abziehen. Deswegen verzichten Initiativen und Vereine inzwischen schon auf Mittel.
Die Verstetigung und Strukturierung soll vor allem die Effizienz der eingesetzten Mittel deutlich erhöhen. Das ist ein Beitrag zum Bürokratieabbau, denn durch die Nachhaltigkeit würde auch die Professionalisierung erhöht, zugleich werden die ewigen Schnittstellen zur Verwaltung deutlich verringert. Das entlastet auch die öffentliche Verwaltung. Vereine und Initiativen können von lästiger Bürokratiearbeit befreit werden und sie könnten sich wieder ihrem eigentlichen Anliegen widmen, dem sozialen Leben, der Lebensqualität und Lebensfreude.
Das Bundesland vereint die besonderen Probleme des ländlichen Raumes mit dem Schicksal Ostdeutschlands, kann aber auch auf eine lange gewachsene Kultur bauen. Insbesondere verfügt es mit der Ehrenamtsstiftung über Struktur-Ansätze, in denen bereits längerfristig Erfahrungen gesammelt wurden, woran beim Ausbau von Strukturen angeknüpft werden kann. Es hat Modellcharakter für Ostdeutschland und den ländlichen Raum. Hier kann ausprobiert werden, wie sich Nachhaltigkeit, Effizienz und Flächendeckung bei der Förderung verbinden lassen.
Darüber hinaus steht auch das Land in der Pflicht, seine Förderung nachhaltiger und flächendeckender Strukturen zu verstärken. Der erste Schritt wurde mit der Gründung der Ehrenamtsstiftung getan und diese hat im Rahmen ihrer Mittel eine thematisch breit gestreute Aktivität entfaltet und dabei Einsichten gewonnen, die auch für andere Bundesländer interessant sind, insbesondere in Ostdeutschland. Doch damit ist sie an finanzielle und personelle Grenzen gelangt, denn die Mittel des Landes wurden seit Langem nicht systematisch aufgestockt.
Die Stiftung ist durch die Stetigkeit ihrer Aktivitäten zu einer „Struktur“ geworden, auf die sich jene Vereine, Initiativen oder Ehrenamtliche verlassen können, denen sie Förderung und Anerkennung zuwendet. Mit den aktuellen Mitteln kann sie aber nicht viel weiter in die Fläche wirken, kann hier nicht Strukturen schaffen, die über ihren Kern hinausgehen. Man sieht das auch daran, dass sie an der untersten Basis der weit in der Thüringer Fläche verstreuten Dörfer oft noch zu wenig bekannt bzw. keine klare Idee von ihr vorhanden ist.
Dennoch konnten im Projekt bereits solche von unten aufwachsenden Strukturen bzw. Möglichkeiten dazu dargestellt werden. Sie reichen von Dachvereinen und so genannten Ehrenamtsstammtischen, wo sich die Vereine der Region (aber auch überregionale Vertreter) zum Austausch treffen, hin zu regionalen Unternehmern, die Beziehungen zur Stiftung haben, die im Projekt gefestigt wurden sowie Stiftungen in den Regionen. Die verschiedenen aufwachsenden Strukturen sind allerdings noch zu wenig mit den eher städtischen Agenturen vernetzt.
Die Kommunen sind das entscheidende Bindeglied zu den Vereinen und Initiativen, nehmen ihre Verantwortung für das Ehrenamt aber oft noch nicht hinreichend wahr. Das zeigt diese Befragung. Sie sind selbst eine Struktur, aber durch eingezogene Routinen weniger flexibel als die Vereine und Initiativen. Während diese beweglich und bürgernah sind, ist ihre Struktur weniger stabil. Beide Seiten sind zwar, gerade über Führungskräfte, häufiger in Personalunion verbunden, pflegen aber jeweils auch andere Rollenverständnisse und Stile.
Zwei Missverständnisse sieht man im Moment; zum einen Vereine und Initiativen als „Häubchen auf der wunderbaren Sahnetorte“, wie es ein erfahrener Ehrenamtlicher ausdrückte, zum anderen Ehrenamt als kostengünstiger Ausfallbürge für Leistungen, die vor Ort als „nicht mehr finanzierbar“ gelten. Beim ersten Fall wird der Umfang ehrenamtlicher Leistungen eher „übersehen“, im anderen mit Chuzpe eingefordert. Die Bürgerschaft ist oft bereit, sie zu übernehmen, aber auf Basis eines fairen Umgangs und richtig strukturiert.
Angesichts dieser Gemengelagen gibt es jede Menge Aufgaben für die Strukturförderung des ehrenamtlichen Engagements. Diese kann nicht weiterhin hauptsächlich in projektartiger Form erfolgen, denn das ist ja selbst Ausdruck eines strukturellen Mangels. Strukturförderung stützt das ehrenamtliche Engagement, gibt den selbstorganisierten, aber auch anfälligen Strukturen ein Gegengewicht gegen die eingefahrenen staatlichen oder kommunalen Strukturen. So können sie weiterhin ihre Anstöße für mehr Menschlichkeit und Freiheit geben.
Der ländliche Raum ist besonders auf das Ehrenamt angewiesen, es gibt dort aber auch besondere Probleme. Ehrenamtliches Engagement kommt durch das soziale und kulturelle Klima leichter zustande, es erwächst aber auch aus schierer Notwendigkeit. Öffentliche und kommerzielle Angebote stehen dort viel weniger zur Verfügung als in der Stadt. Die Abwanderung jüngerer Menschen in die Städte, eine ausgedünnte Infrastruktur und die materielle Schwäche der Gemeinden gefährden die Vereine als wichtigste Struktur des Engagements.
Vorgelegt von Gensicke Sozialforschung München im Auftrag der Thüringer Ehrenamtsstiftung.
Das Projekt wird durch den Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.
Sehen Sie hier den Vortrag von Dr. Thomas Gensicke zur Studie: Engagement im ländlichen Raum Ostdeutschlands. Gehalten im Rahmen eines digitalen Fachtages gemeinsam mit der DSEE und verschiedenen Bundesministerien am 10.11.2020.
Auch in Thüringen als besonders ländlich geprägtes Bundesland bestätigen sich beobachtbare Trends in der Gesellschaft, die bisher nicht wissenschaftlich fundiert waren, besonders deutlich. So spielen die Schwierigkeit der Nachwuchsgewinnung, Hürden bei der Digitalisierung, ein Zuviel an Bürokratie und Strukturen, die nur ansatzweise an den ländlichen Raum angepasst sind, eine sehr große Rolle, wenn sich die Befragten zu aktuellen Herausforderungen im Ehrenamt äußern. Die Befragung bestätigt, diese Bereiche noch viel stärker in den Blick zu nehmen.